Sinnlicher Minimalismus trifft auf Vollblutarchitekt

Architekt Titus Bernhard scheut keine Widerstände und Auseinandersetzungen, wenn es um eine bessere Architektur geht. Seit 1995 ist er mit spektakulären Architekturprojekten national und international aufgefallen und wird als „der Villen-Architekt aus Bayern“ gefeiert. Er bereichert mit einer guten Portion Selbstbewusstsein und Lust an der Provokation die Baukunst mit eigenen Akzenten. Auch der Architekturtheoretiker Andreas Denk lobt Bernhards subtile Raumbildungen, die atmosphärische Wirkung der Räume und die kreative Materialwahl bei seinen Einzelbauten.

„Wir verstehen gute Architektur als kulturellen Beitrag.“
Titus Bernhard

Für Titus Bernhard ist der „sinnliche Minimalismus“ die Weiterentwicklung der Bauhaus-Moderne, und für seine mutigen städtebaulichen Interventionen bekam Bernhard immer viel Lob in der Fachwelt und unzählige Auszeichnungen. Sein Architekturstudium absolvierte er in Braunschweig und am Politecnico di Milano bei Giorgio Grassi. Er war im Büro des New Yorker Architekten Richard Meier tätig, Projektpartner im Büro PSP, Braunschweig, und Mitarbeiter im Büro Bohn & Bohn in München, bis er 1994 sein eigenes Architekturbüro gründete.

Hier legen er und seine Mitarbeiter viel Wert auf Vielseitigkeit: Architektur, Bildende Kunst, Maschinenbau, Computeranimation, neue Medien, Grafikdesign und Mehrsprachigkeit sind obligatorisch. Aber Titus Bernhard will nicht nur als „Luxusarchitekt“ verstanden wissen.

NEUN MAL NEUN UND ELF MAL ELF

Berichtet man über Titus Bernhard, muss man seine zwei Gebäude 9 x 9 und 11 x 11 erwähnen, die international viel Aufsehen erregt haben. Denn gegen erhebliche Widerstände aus dem Bauausschuss der Gemeinde und der Nachbarschaft wurde das Haus 9 x 9 trotzdem realisiert. Konzeptionell ist es als bewohnbare Skulptur gedacht und thematisiert eine innovative, ökologische Fassade. Zum ersten Mal werden hier Gabionen als vorgehängte Fassadenelemente verwendet: 365 handbefüllte „Körbe“ mit zirka 40.000 Steinen bilden 28 Tonnen Speichermasse, die den Wärmedurchgang regulieren. Im Sommer wie im Winter zeigen sich ein behagliches Klima und minimaler Heizbedarf. Gegen die raue Außenhaut steht das fein durchgearbeitete und lichte Innenraumkonzept.

Haus 11 x 11 ist der konsequente Nachfolger von Haus 9 x 9. Der ästhetisch ausgeprägt grafische Charakter wird durch die unterschiedlich dichte, sehr präzise Setzung der Lamellen verstärkt und stellt technisch sicher, dass Regen und Schnee hinderungsfrei abfließen können. Dach und Fassade sind gleichsam ein großer „Regenschirm“. Die Holzfenster sind darin präzise in die Lamellengeometrie eingebunden.

„Ich bin sozial engagiert, ich kann auch low budget – und wir wollen zeigen, dass wir auch für ‚normale Menschen‘ bauen können.“

Titus Bernhard

Auf 10.000 Quadratmetern des Augsburger Reese-Areals werden nicht nur 140 Wohnung realisiert, sondern auch die lang ersehnten Einkaufsmöglichkeiten wie Vollversorger, Drogerie, Cafés und kleinere Ladengeschäfte.

Hinter dem Neubau steht planerisch Titus Bernhard, der sich für die Nordfassade etwas Besonders einfallen ließ: Die Laubengänge werden durch gebogene Blechelemente aufgelockert. „Je nachdem, ob man stadtauswärts oder einwärts fährt, sind diese bunt oder weiß“, sagt Dominik Hoppe, Chef der Wohnbaugruppe Augsburg. Bis das Farbenspiel in Augenschein genommen werden kann, dauert es noch. Rund zwei Jahre Bauzeit sind einkalkuliert.

„Aufgrund der aktuell schwierigen Lage am Wohnungsmarkt in Deutschland benötigt auch die Stadt Augsburg dringend ein größeres Angebot an günstigen, bezahlbaren und sozial geförderten Wohnungen. Auch Bürger mit geringeren Einkommen haben Anspruch auf guten Wohnraum und ansprechende Architektur“, sagt uns Titus Bernhard.

Der städtebauliche Entwurf bildet einen signifikanten nördlichen Abschluss des ehemaligen Reese-Kasernen-Areals und gleichzeitig eine südseitige Fassung des Straßenraums zur Ulmer-Straße. Alle Wohnungen sind barrierefrei, einige davon behindertengerecht. Das Angebot an Wohnungstypen entspricht dem Bedarf an unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens sowie Flächen für den sozialen Austausch, gemeinschaftlichen Einrichtungen und individuellen Rückzugsmöglichkeiten. Im Erdgeschoss befinden sich die öffentlichen Bereiche, Supermärkte, Cafés und Einzelhandel sowie die Zugänge zu den Wohnungen darüber. Die darüberliegenden Geschosse dienen rein der Wohnnutzung. Im ersten Obergeschoss befindet sich eine weitläufige Gartenanlag welchen den angrenzenden Park des Neubaugebiets in das Gebäude integriert und die Gemeinschaftsräume sowie Spielplätze für die Wohneinheiten miteinander verbindet. Alle Wohnungen sind konsequent nach Süden zum Park orientiert.

Bildmaterial: www.titusbernhardarchitekten.com
Text Nina Schmid | Fotografie: Jens Weber & Orla Connolly, München